Mariam Irene Tazi-Preve

Mariam Irene Tazi-Preve

Das Versagen der Kleinfamilie

Mutter, Vater, Kind - oder besser noch zwei Kinder. Das ist das Ideal einer perfekten Familie unserer Gesellschaft. Schon kleine Kinder spielen es mit ihren Freunden nach. Darüber, wie es hinter den Kulissen aussieht, wird nicht so gern gesprochen - zumindest nicht in der schonungslosen Offenheit, die das Thema verdient hätte.
Mütter am Limit und völlig erschöpft durch einen Spagat zwischen Kindern, Job und Familienlogistik. Väter in der Herausforderung einem neuen Rollenbild gerecht zu werden. Und wenn mal irgendetwas nicht so läuft, wie es soll, sind immer die Mütter Schuld. Sie haben einen enormen Leidensdruck, erklärt die Politikwissenschaftlerin und Zivilisationstheoretikerin Mariam Irene Tazi-Preve in einem Interview.
Sie hat sich intensiv mit dem Thema befasst und ihr aktuelles Buch „Das Versagen der Kleinfamilie - Kapitalismus, Liebe und der Staat“ rechnet ab mit dem Ideal der Kleinfamilie. Sei sieht in der kleinfamiliären Struktur den Kern allen Übels. Aber warum ist das so? 
Die lebenslange romantische Beziehung erklärt sie, gebe es nur in Ausnahmefällen, trotzdem wird uns suggeriert, es wäre die Normalität. Das Streben danach ist also häufig mit Enttäuschungen verbunden. Zwei Bezugspersonen seien außerdem für ein Kind viel zu wenig. Dennoch hält man daran fest, obwohl die Idee der Kleinfamilie mit gut 100 Jahren noch relativ jung ist. In diesen kleinen Zellen werden allerdings allzu oft Kinder und Mütter vom Rest der Gesellschaft isoliert und das sei für beide gesundheitsschädlich.

Wer nach Alternativen zu dieser Lebensform sucht, der landet beim alleinerziehen und das nur, weil es so wenige Familienformen gibt. Dabei wären so viele andere, gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens denkbar. Stattdessen werden insbesondere Alleinerziehende von unserer Gesellschaft im Stich gelassen - sie sind die absoluten Verlierer unseres Systems. Tazi-Preve erwähnt auch andere Wohn- und Lebensformen, in denen man sich die anfallende Arbeit teilt: Kochen, Kinderbetreuung, Haushalt, Hausaufgabenhilfe, Besorgungen etc. Wichtig sei aber auch ein Umdenken, das hinter allem steht: Frauen sollten aufhören, an das Märchen von Karriere und einfacher Vereinbarkeit zu glauben. Die Karrierefrau mit Kindern, die das mühelos schafft, sei eine Erfindung der Medien und der Wirtschaft. Wir sollten vielmehr eine Kultur des Teilens von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Familien­management anstreben. Dazu gehört aber, dass auch Männer erkennen, wie sehr sie davon profitieren würden. Im Berufsleben selbstbewusst, häufiger Nein zu sagen wäre für die Männer schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

Bild: Igor Ovsyannykov, Mariam Irene Tazi-Preve

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